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24h Race München-Ein Rennen mit Tollwut

Die Pandemie ist längst vorbei, doch das Rennen im Olympiapark hat lange gebraucht, um wieder in den Rennkalender zurückzukehren. Mit meinem Ziel alle großen 24h Rennen in Deutschland zu bestreiten, wurde meine Teilnahme quasi zur Pflicht und so tingelte ich rund 5 Wochen nach dem 24h Rennen vom Alfsee mit Betreuer Marco und Flo in den Olympiapark. Um 18 Uhr angekommen, suchen wir einen geeigneten Platz für das Wohnmobil. Doch der Olympiapark erstickt geradezu vor Menschen. Ich hatte irgendwie die Erwartung, ich finde hier ein ruhiges Eventgelände, wo ich nun mit gechillter Base, wie das neudeutsch heißt, meinen Kram auspacken kann. Aber ich sehe jedenfalls nur Menschen.

Flo und ich auf dem Weg

Irgendwie schaffen wir es durch die Menge zu rangieren und noch irgendwo einen Platz zu erhaschen. Leider nicht direkt an der Rennstrecke, aber immerhin stehen wir nun. Wir beginnen das Fahrerlager einzurichten, beziehungsweise versuchen es, denn die Menschenströme zertreten mir mein Equipment. Einer rennt volle Kanne gegen meine Markise. Ich bin schon maximal entnervt, da quatscht mich noch eine völlig verwahrloste Person von der Seite an. Ohne Zähne im Mund stammelt er vor sich hin

Er sagt: „Tollwut?“

und ich antworte: „Hab ich keine.“

Wie ich später erfahre, scheint er das Festival zu suchen, welches nur unweit von uns gerade stattfindet. Selbiges erklärt diese Menschenmasse und trägt den Namen Tollwood.

Flo ist das erste Mal als Betreuer dabei und zeigt sich kreativ: er zerlegt die Baustelle nebenan und schleppt Baugitter und Poller an. Mit diesem Equipment sind wir endlich in der Lage den Bereich des Fahrerlagers etwas abzugrenzen. Unter der Markise, mit Nudelsalat und nem Bierle senkt sich dann wieder der Puls – wir sind angekommen.

Da mein Betreuerteam ähnlich gut trinkt wie ich Rad fahre, ist es nicht verwunderlich, dass wir in den späteren Abendstunden auch auf dem Tollwut/Tollwood Festival landen. Die beleuchteten Fressbuden, der Olympiaturm, bunt beleuchtete Bäume – es ist echt schön hier und freue mich darauf Morgen an den Start zu gehen.

Die Crew

Renntag

Ich habe schlecht geschlafen. Die Menschen, die gestern Mittag aufs Festival geströmt sind, kamen quasi in der Nacht nochmals bei uns vorbei, als sie nach Hause getorkelt sind. Es geht zur Streckenbesichtigung mit Kumpel Andreas und Lupo, die auch Solo starten werden. Obwohl wir gemächlich unterwegs sind und noch den ein oder anderen Abzweig verpassen, brauchen wir für die Runden keine 15 Minuten. Was einerseits psychisch total ermüdend ist, weil man 5mal pro Stunde dieselbe Strecke fährt, bietet jedoch optimale Voraussetzung, um mehrfach pro Stunde von seiner Crew betreut zu werden.

12 Uhr ist Start, beziehungsweise 12.03 für uns Solofahrer. Ich hatte Gunnar, den Rennorganisator noch diese Woche gebeten die Solofahrer zu separieren. An der Stelle will ich sagen, dass die Kommunikation im Vorfeld mit Gunnar super war und er das prompt umgesetzt hat. Ich beschließe vom Start weg Druck zu machen. Nicht weil ich‘s kann, sondern weil ich halt ein fuckxxg Poser bin.

Der Start

Meine Crew hat die Aufgabe während des Rennens, meinen Social Media Content zu posten und so seht ihr mich quasi „live“, wie ich das komplette Fahrerfeld aus dem Startblock heraus anführe. Als Influencer könnt ich jetzt quasi schon wieder aufhören, doch ich bin halt Rennfahrer und somit gibt´s für mich also noch ne zweite Runde.

Die erste Rennstunde ist absolviert, Andreas und Lupo hängen bei mir am Hinterrad. So lange bei Daniel bleiben wie´s geht ist das Motto. Ich selbst hab aber mindestens 3 wenn nicht sogar 4 Hinterräder meiner Kontrahenten nicht halten können.

Heute Morgen hatte mir bei der Streckenbesichtigung noch ne Ente auf die Hand geschissen. Ich habe dies noch als gutes Omen gedeutet, doch es kommt so wie es die Ente gemeint hat, ziemlich beschissen.

Nach der zweiten Rennstunde fällt meine Vorderradbremse aus. Zwar steht ein potentes Ersatzbike zur Verfügung, aber den Wechsel kann ich mir aktuell nicht leisten. Umschrauben von Powerbank, Startnummer…wenn ich da 10 Min verliere, haben mich die Vorderleute schon überrundet und nach hinten habe ich weitere Plätze verloren. Somit müssten die Kontrahenten nur an meinem Hinterrad ins Ziel gurken…ich hätte keine Chance das aufzuholen. Lupo ist nicht mehr bei uns, Andreas genießt noch immer den Windschatten meines voluminösen Körpers. Mit den bayrischen Worten „oi rundi foar i no mid, dann koanst mi am oasch lecken“ verlier ich in der kommenden Runde meine Gesellschaft.

Während ich nun einsam durch den Olympiapark kreise, werde ich von Martin aufgefahren, der mich überholt, ich falle weiter in den Top 10 zurück.

Und wieder machen mir dir Menschen hier das Leben schwer. Spielende Kinder, freilaufende Hunde, ein Touri inmitten des Treppentrails, in welchen ich mit eingeschränkter Bremsleistung hinein rausche. In den ersten 4 Stunden kann ich gerade so mehrere Zusammenstöße vermeiden.

Man hat mir mal erzählt, die Lokation des Olympiaparks sei magisch. Jetzt verstehe ich gerade was damit gemeint war.

Hier werden Radfahrer quasi unsichtbar, ähnlich wie im Bermudadreieck scheinen sie komplett aus dem Sichtfeld der Menschen zu verschwinden. Nur so kann ich mir erklären warum hier gefühlt jeder Zweite auf der Rennstrecke herumlatscht.

Ziemlich früh am Limit

In der fünften Rennstunde erlebe ich dann meinen finalen Super-Gau. Beim Erklimmen des Olympiabergs bekomme ich die ersten Krämpfe. So stark, dass ich nicht mehr treten kann und schieben muss. Einige Stunden zuvor hatte der Veranstalter schon Streckenteile wegen der Kollisionsgefahr mit den Personenströmen gesperrt. Die Strecke ist also noch kürzer und der Berg, den ich gerade hochschiebe muss nun deutlich öfters und früher pro Runde erklommen werden.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich bei einem anderen 24h Rennen in den ersten 5 Stunden mental so hingerichtet wurde. Mit der Aussicht noch 19 Stunden in der aktuellen Situation verharren zu müssen, ist für mich fast nicht zu ertragen.

Frustriert rolle ich zu Crew, düstere Gedanken nicht weiter zu machen sind präsent.

Ich versuche mich kurz zu sammeln, den Kopf runter zu kühlen, die Muskeln etwas zu lockern, mit Salz und Flüssigkeit die Krämpfe zu beherrschen.

Ich bin physisch angeschlagen, psychisch angeschlagen, materialtechnisch angeschlagen. Ich merke selbst wie ich mental gerade in einer Abwärtsspirale bin, aus welcher ich mich nicht befreien kann. Alles läuft gerade gegen mich. Ich sehe nur die Dinge, die gerade schlecht laufen, dabei ist das, was ich bis dato abgeliefert habe gar nicht soooo schlecht. Ich liege auf Platz 6 und habe die gut 30 Fahrer hinter mir schon überrundet und es sind gerade erst 6 stunden gefahren. In den kommenden Stunden kann noch viel passieren, Dinge können sich wieder zum Positiven wenden. Ich muss nur den Mindfuck, mit welchem ich mich infiziert habe aus meinem Kopf bekommen.

Der Materialwechsel muss warten

Auch wenn ich noch immer total frustriert bin, richte ich meinen Blick auf die bevorstehende Nacht. Die kühlen Temperaturen werden dafür sorgen, dass ich mich wieder besser fühle, rehydrieren, meine Krämpfe in den Griff bekommen, auch die Menschen und der Traffic auf der Rennstrecke wird verschwinden, so dass man sich wieder auf das Rennen fokussieren kann. Zudem „stirbt“ pro Nacht ein Favorit. So lange ich´s nicht bin, soll mir das recht sein. So versuche ich mich Runde für Runde mental zu festigen und ab 20 Uhr ändert sich die Situation allmählich. Die Personenströme lassen nach, das Publikum ändert sich. Statt Familien, die aufs Festival strömen, kommt nun die Jugend in den Park, bewaffnet mit Sixpack Paulaner Spezi und Weißbier machen sie es sich am Streckenrand gemütlich.

Mit dem Öffnen der Kronkorken und dem Hereinbrechen der Dunkelheit macht sich allmählich ein flächendeckender Geruch von Marihuana über der Strecke breit. Es braucht wenige Runden, da bin ich ein völlig gechillter Hommie, der hier easypeacy den Olympiapark mit seinen Dudes durchstreift.

Nachts ist es magisch

Es ist wirklich schön hier. Die Dronenshow vom Tollwood Festival, die beleuchteten Wege, der bunte Park mit seinem Tower. Selten habe ich ne bessere Nacht in einem Rennen gehabt. Durch den Tiefpunkt von 12-1 Uhr habe ich mich durchgekämpft. Ich habe nur zum Akkuwechsel gehalten. Gegen 4 Uhr habe ich aber nochmal ein Tief. Im Anstieg versuche ich für wenige Sekunden die Augen zu schließen und ich mach den ein oder andern Stopp, um mich wärmer zu kleiden. Auch die Betreuer sind müde und wechseln sich mit schlafen ab. Ich bin irgendwie lost, wo ich im Rennen stehe wird sich erst nach Sonnenaufgang zeigen.

Nachts kostet es immer einen Favorit, das ich dieser bin, hätte ich nicht gedacht.

Gefühlt haben meine Vorderleute in der Nacht keine Fehler gemacht, aber ich selbst erlebe ein Andreas Schmelzer wie ich ihn nie zuvor erlebt habe. Im Morgengrauen fährt er mich von hinten auf, rundet sich zurück und fährt von vorne eine Pace, die ich aktuell nicht mitgehen kann. Als er im Anstieg davon zieht, frag ich ihn, was er eigentlich vor hat. Er sagt, „ich will deinen sechsten Platz.“ Andreas hat sein Beine gefunden, er fährt locker zwei Gänge dicker als ich und während ich darauf warte, dass auch mein Köper wieder zu mir zurückkommt, zieht Andreas davon mit dem Ziel die zwei Runden Rückstand, die er hat auf mich gutzumachen.

Kurzer Stopp zum Akkuwechsel

Es ist kurz nach fünf Uhr, ich gebe meinem Körper noch eine Stunde Schonfrist, aber ich muss an das geschissene Hinterrad von Andreas. Es muss mir endlich besser gehen, ich muss schneller werden, ich muss aufholen.

Mit Red Bull, Powergums und Energygel werde ich ab 6 Uhr von meiner Crew hochgezuckert, wie einst die siebenjährige Chantal bei ihrem Kindergeburtstag im MC Donnalds.

Das Hochzuckern

Bei Eintritt des Zuckerschocks beginne ich Rundenzeiten unterhalb der 10 Minuten Marke zu fahren. Ich bin 18,5 Stunden im Rennen und so schnell wie gestern Mittag um 14 Uhr. Binnen kürzester Zeit kann ich die Lücke zu Andreas schließen. Etwas perplex kann er nicht fassen, dass sein Vorsprung so schnell wieder weg ist.

„Ja soag amol, wie schnöäl bis dän du gfuan.“

Was Andreas nicht weiß, ich habe gerade sämtliche Körner rausgehauen, die ich für die verbleibenden 6 Stunden brauchen würde. Ich lasse es leicht aussehen, aber ich leide wie die Hölle. Ich sage zu Andreas, wir können jetzt gegeneinander fahren oder wir holen Martin ein, der uns gestern überholt hat. Martin macht gerade vermehrt Pausen an seiner Box und wenn wir ihn als auf er Strecke sehen, ist er deutlich langsamer als wir. Drei Runden Rückstand, die ich glaube zu haben, können wir easy aufholen.

Wir beschließen also zusammen zu arbeiten und gemeinsam einen Platz nach vorne zu kommen. In diesem Fall bedeutet das aber, dass Andreas fast ausschließlich von vorne fährt und die Arbeit macht. Die Rollen zur gestrigen Startphase sind gerade vertauscht – ich lutsche an Andreas als sei er ein Flutschfinger. In der kommende Stunde können wir an Martin vorbei ziehen und wir sind auf Platz 5 und 6. (glauben wir zumindest).

Abgesehen vom Führenden, der, glaubt man den Rundenzeiten und Geburtsjahr, ein verrenteter Terminator sein muss, ist Andreas für mich der stärkste Fahrer an diesem Morgen.

Die Finale Phase beginnt

Nicht ganz uneigennützig frage ich Andreas: „wie wäre es mit nem kurzen Stopp, Pinkelpause, Verpflegen und ich könnte nach gut 22 Stunden das Rad wechseln und hätte wieder zwei Bremsen?“ Da unsere Betreuer eh zusammen sind, halten wir gemeinsam an, doch Lupo interveniert.

„Martin ist zwei Minuten vor Andreas und ich bin vor Martin, ihr müsst weiter.“

Hui, es wird hektisch und es ist wieder Druck auf dem Kessel. Noch in derselben Runde können wir die 2 Minuten aufholen und da Martin wieder pausiert, können wir ihn in der folgenden Runde sogar überrunden.

Knapp 1,5 Stunden vor Rennende ist endlich der Druck weg. Wir haben genügend Vorsprung, die Plätze sind fix und ich bin happy, dass ich meine Schwächephase überwunden habe und bei Andreas bleiben konnte. Es bildet sich eine Gruppe mit Platz 2 und 3. Max und Jörg, ein Vater-Sohn-Gespann, welches gemeinsam ein tolles Rennen gefahren ist. Wir nehmen Tempo raus, quatschen etwas und lernen uns kennen. Es ist schön gemeinsam so ein Rennen zu beenden, da ist Respekt und Anerkennung.

Wenig Zeit später kommt dann auch Adrian, der vermeintlich Führende in unsere Gruppe, wir fahren zu fünft weiter und warten auf den ersehnten Zieleinlauf.

Ich will Adrian gratulieren, da meint er nur, er ist nicht der Führende. „Okay, da Max und Jörg auf P 2+3 sind bist du Vierter?“ da ruft Jörg, „nein Daniel, du bist Vierter.“

Was bin ich nur für ein Lauch – ich fahre hier seit über 22 Stunden dumm im Kreis und hab keine Ahnung was hier gerade passiert.

Andreas und mir läuft es kalt den Rücken runter. Wenn also Platz 2+3 in dieser Gruppe fährt, ich Vierter bin, Andreas vielleicht Fünfter, was macht dann Adrian plötzlich hier, der immerhin schon Führender war? Wir haben keine Ahnung was los ist, aber jetzt wieder Plätze verlieren geht gar nicht.

Andreas meint sofort, Daniel ich will den Adrian nicht in der Gruppe haben und so kommt´s wie es kommen musste.

Eine Rennstunde vor Schluss müssen wir Adrian aus der Gruppe heraus treten und mit einer Attacke im Anstieg ziehen Andreas und ich davon. Wir fahren Rundenzeiten wie gestern Nachmittag und können Adrian abhängen.

Ich gefolgt von Andreas

Wir kommen über Start -Ziel und gehen in die letzte Runde.

„Andreas, gleich haben wir es geschafft.“

Kaum haben wir die Zielgerade passiert, spricht der Kommentator ins Mikrofon: „Und hier kommt Adrian, der in derselben Runde wie Andreas Schmelzer ist.“

Hört das denn nie auf? Muss das sein in der letzten Runde? Menschen in meinem Alter können sich bei solch einer Aufregung schon mal etwas einnässen und Andreas bekommt gerade deutlich Puls und will schon wieder aufs Tempo drücken. Klar will er keinen Platz verlieren, schon gar nicht in der letzten Runde. Ich fahre kurz neben ihn und sage: „Andreas, es kommt gleich das Flachstück mit Gegenwind am See entlang, ich regele das.“

Ich setze mich vor ihn. Ein letztes Mal Kette rechts und All Out für Andreas. Meine Ziellinie ist der Fuß des kommenden Anstiegs. Dort setze ich Andreas ab, der jetzt die Körner raus haut, die er gerade gespart hat. Andreas fährt nach 23,5 Stunden nochmals seine schnellste Runde. Ich applaudiere noch dem Publikum und rolle wenige Sekunden später über den Zielstrich und in die offen Arme von Andreas.

Ziel

Wir sind erstmal super happy.

Aber auch Schande über mich, wie ein Kacknoob hatte ich zu keiner Zeit die richtigen Infos was hier gerade passiert.

Die Ergebnisliste spuck dann Folgendes aus:

Nach 436 Kilometer und 6.200 Höhenmeter komme ich auf Platz 4 ins Ziel. Mit zwei Runden Rückstand ist Adrian tatsächlich vor Andreas geblieben der toller Sechster wird.

Kaputt

Für mich bleibt also die Holzmedaille nach einem schweren Rennen, welches mir schon früh einige Probleme beschert hat. Ja, diese Rennen sind nie leicht und es hat sich wieder gezeigt, kämpfen lohnt sich, den Nachts „stirbt“ mindestens ein Favorit. Die Leistungsdaten passen, es war besser als am Alfsee, allerdings bin ich mit mir selbst nicht zufrieden. Ich bin das Rennen nicht smart gefahren, ich war nur mit mir beschäftigt, mit allem was hier scheiße ist. Ich war einfach nicht cool, sondern eher wie ein trotziges Kleinkind oder als hätte ich Tollwut.

Danke an Gattin Pamela, die remote mit den Kids mitgefeiert hat

Danke an Betreuer Flo und MarCo

Gratulation an alle Solofahrer…ihr seid Champions

Danke an meine Community, die während des Rennens mitgefiebert hat.

happy ride

Euer Daniel