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24h Alfsee- Rieste ist besser als Girona

Es ist ein Jahr her, ich stehe am Alfsee und unterhalte mich mit Uwe, dem Veranstalter vom 24H Rennen über die stagnierenden Teilnehmerzahlen und Eventabsagen.

Aktuell boomt das Graveln, eventuell sind das die Teilnehmer der Zukunft. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein Gaudi wäre, wenn man mit seinen Kumpels im 8er und 4er Team hier mit dem Gravelbike startet. Wenn man keine Lust mehr hat, dann geht´s in den Feier-Modus und man genießt das Event. Mach doch eine Gravelwertung, lautet mein Tipp für Uwe.

Die Zeit vergeht. An Weihnachten, plötzlich ne WhatsApp von UWE. Wir haben nun ne Gravelwertung eingeführt Daniel, du kannst Solo starten.

WTF, so war das aber nicht gedacht. 2019 bin ich hier mit einem Hardtail gestartet und wie ihr lesen konntet (hier geht´s Blogbeitrag), war dies die absolute Folter. Seither habe ich all meine 24h Rennen mit einem Fully bestritten und jetzt soll ich auf diesem Rumpelkurs völlig ungefedert meine Runden ziehen?

Glücklicherweise habe ich eine Ausrede: „Sorry Uwe, aber ich stehe schon beim Traka 360 am Start.“ Seine Antwort: „Das ist ja eine Woche vorher, du kannst trotzdem kommen.“ Ich fühle mich durch Uwes Vertrauen in meine physische Leistungsfähigkeit geschmeichelt, weiß aber genau, ich kann nicht zwei Ultrarennen binnen einer Woche bestreiten, da bin ich physisch wie mental weit über meinen Grenzen.

Die Geschichte nimmt seinen Lauf. Ich bin in Girona, starte beim Traka 360 und wie ihr Blogleser wisst, muss ich das Rennen bei Halbzeit aufgegeben. (Hier geht´s zum Beitrag)

Das ist Uwe auch nicht entgangen und jetzt dürft ihr raten, wer mich am Montag in meiner Frühstückspause anruft und fragt, ob ich an den Alfsee komme.

So stehe ich äußerst spontan auf der Meldeliste fürs Rennen und so geht‘s mit wenigen Tagen Unterbrechung von Girona nach Rieste.

Mir widerstrebt der Gedanke, mich 24h vom Gravelbike malträtieren zu lassen. Andrerseits bin ich getrieben von einem Wunsch: Ich könnte hier beide Pokalen vereinen, als erster Sieger der MTB- und Gravel-Wertung – mein Name wäre auf beiden Wanderpokalen. Eine einmalige Chance.

Ich weiß, was auf mich zukommt

Drei Mal war ich schon hier, fast 100-mal habe ich den Alfsee schon umkreist.

Mir ist völlig klar, mindestens 3 Deichpassagen kann ich mit der Übersetzung nicht fahren, d.h. runter vom Rad und schieben. Inwieweit ich die technische Sektion fahren kann, wird sich im Rennen zeigen. Nach 10 Durchquerungen des Highway to Hell (einem flachen Wiesenwaschbrett) wird mein Arsch von dem eines Pavians nicht mehr zu unterschieden sein.

Freitag, nach 9h Anreise treffen wir erst um 23 Uhr auf dem Gelände ein. Es geht direkt ab ins Bett. Am nächsten Morgen werden Gattin Pamela, Chefbetreuer Marco und ich von strahlendem Sonnenschein empfangen.

Wir öffnen den Camper und richten das Fahrerlager ein. Ehemalige Mitstreiter, alte Teamkollegen, Instagram Bekanntschaften…alle sind da. Alfsee24 fühlt sich sofort wie Familie an.

Darunter der Bademeister on Wheels (Insta), der schon öfters hier war und nun erstmalig ein Solo auf dem Gravelbike starten wird.

Um kurz vor 14 Uhr geht es in den Startblock. Mit Lukas Kaufmann und Roy Bruns sind hier absolute Topfahrer am Start. Ich stelle mich auch in die Reihe, nicht weil ich ähnlich schnell bin, sondern weil ich dem Startgetümmel auf den ersten engen Streckenpassagen entkommen möchte. Zudem bewahre ich den Überblick, damit sich im Stargetümmel keine anderen Gravler unbemerkt vor mich setzen.

Der Startschuss fällt, ich komme gut durch und beim Drop über eine Rampe, entscheide ich mich bewusst fürs Absteigen und nehme den Chickenway. In den ersten zwei Runden bin ich nervös, denn ich bin mir noch nicht sicher, ob es ihn gibt. Ich rede von dem Underdog, dem Unbekannten auf der Startliste, den man nicht kennt, der aber schon vom Start weg zwei Gänge dicker drückt als du. Bei dem dir sofort klar wird, du kannst dich hier schinden und quälen, wie du willst, aber du siehst kein Land gegen diesen Fahrer.

Glücklicherweise bleibt mir dieser K.O. Schlag erspart. Ich fahre stur meinen Rhythmus, ich weiß, wo ich schieben muss und was für mich fahrbar ist. Nach einigen Runden schließt der (Bademeister on Wheels) Paul zu mir auf.

Okay, überpaced habe ich nicht, aber entscheidend absetzen konnte ich mich auch nicht. Ich freu mich über die Gesellschaft, solche Rennen sind lang und manchmal etwas einsam. Paul war schon öfters hier und bringt auch MTB-Skills mit. Für mich ist er ein ernster Konkurrent, vor allem hat er den Mut mit dem Gravelbike den Drop zu fahren, welchen ich immer ausgelassen habe. Weil ich aber an seinem Hinterrad bleiben möchte, gibt es in der nächsten Runde keine Alternative und ich tue es ihm gleich. Manchmal brauchts halt einfach jemand, der es vormacht. Danke dir Mate, dass du mich gefordert hast.

Aufgrund unterschiedlicher Verpflegung und Pausenstrategien, trennen sich bald unsere Wege wieder und im weiteren Verlauf beginne ich die anderen Solo-Gravler zu überrunden. Lustigerweise tue ich es gerade, als ich den Deich hinauf schiebe. Mein Mitstreiter hatte vor kurzem Paris Roubaix bestritten, ich rufe ihm kurz rüber: “Anders als Paris Roubaix hier?“

Er meint nur: „Paris Roubaix war ein Spaziergang“

Er hat völlig recht, im zunehmenden Rennverlauf wird die Strecke immer ruppiger, sandiger und ausgefahrener. Viele Passagen kann ich nur noch im Wiegetritt fahren, weil Arsch und Rücken die Schläge nicht mehr ertragen können. Jedes Schlagloch peinigt dich zweimal, wenn du mit der Starrgabel rein sinkst und wenn dann das Hinterrad nachzieht. Das kostet Kraft und Speed.

Mit zunehmender Renndauer werde ich immer häufiger von den MTB-Fahrern angequatscht:

Geht das mit dem Gravelbike?

Macht das Spaß mit dem Gravelbike?

Ich antworte immer: Ist ein Träumchen.

Sie: Wirklich?

Ich: Nee, ist die Hölle

Die Abenddämmerung bricht herein. Marco und Pamela machen sich bereit für den Stopp. Lampe, Helm kurze Verpflegungspause.

Wir hatten uns eine andere Strategie für dieses Rennen überlegt. Während es in der Vergangenheit darum ging, mich 23,5 Stunden auf dem Rad zu halten und die Standzeiten auf ein Minimum zu reduzieren, ging es hier darum mir regelmäßige Pausen zu verschaffen. Ich war fest davon überzeugt, man (also ich) kann nicht 24h um den Alfsee graveln und meine Konkurrenz kann das auch nicht. Mein Pausen werden wir immer dann machen, wenn die Konkurrenz pausiert hat, so der Plan.

Es ist kurz vor Mitternacht, Akkuwechsel. Eine Stunde habe ich Vorsprung, mir zu wenig, um mir eine Pause zu gönnen. Ich bin frustriert, mir tut alles weh, eigentlich bin ich komplett durchgenudelt. Zum Trost füllt mir Pamela meine Deuter Oberrohrtasche mit Nussecken, Apfelstücken und Erdnüssen. Somit kann ich wenigsten futtern, während ich leise vor mich hin weine.

Mit der völligen Dunkelheit, beginnt auch die Leidenszeit der Veganer. Schwärme von Insekten versammeln sich auf der Rennstrecke. Wer jetzt noch durch den Mund atmet wird zugestopft mit einer fliegenden, fleischigen, Proteinquelle. Somit ist Nasenatmung angesagt.

2 Uhr nachts, Rennhalbzeit.

Und ich habe recht. Die Konkurrenz pausiert, schläft oder beendet das Rennen komplett. Aber, da ist er plötzlich doch. Der unscheinbare Fahrer. Er heißt Oliver, ich habe ihn bis dato nicht gesehen. Er ist sicher 15 Jahre älter als ich, aber er hat sich das Ziel gesetzt, hier durchzufahren.

Ein unglaublich toller Athlet.

Somit zwingt mich Oliver draußen zu bleiben.

Der alte Herr zeigt dem jungen, wie es geht. Auch wenn ich selbst zu Gammelfleisch-Klasse gehöre: Im Nachgang absolut grandios.

Nach jeder Runde, die ich eigentlich nicht mehr fahren will, rufe ich Pamela zu: „Schick den alten Mann ins Bett“

Bei jedem Akkuwechsle sagt sie mir: „Er hört einfach nicht auf“.

In der langen, zähen Nacht wird mir bewusst, es müssen hier also wieder 400 Kilometer werden, um die Pokale zu vereinen. Das wird kein Selbstläufer, auch wenn ich das Renne seit der ersten Runde anführe.

Die Nacht endet, mit dem Sonnenaufgang sind es nur noch 7 Stunden bis zum Zieleinlauf. Ich lege bei nem Verpflegungsstopp meine Tagkleidung an, doch schon eine Runde später muss ich wieder stoppen.

Mein Arsch bringt mich um, ich habe unerträglich Beschwerden. Ich bitte Pamela sich durchs Fahrerlager zu fragen und irgendwo ein Schmerzsalbe aufzutreiben.

Ein Runde später dann die Erlösung. Der Betreuer von Lukas Kaufmann hat einen großen weißen Plastikbecher aus der Apotheke, welcher mir von Pamela wie der heilige Grahl überreicht wird.

Verstörend Szene spielen sich nun am Alfsee ab. Umringt von Kindern, Betreuern und Zuschauern zieht Daniel blank, die Arschbombe in den Plastikbecher wird dramatisiert durch Schmerzensgesänge des Probanden.

Die Aktion hat mit im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch gerettet und ich kann endlich wieder schnellere Rundenzeiten fahren. Die weitere Strategie ist klar, ich habe alle Fahrer mehrfach überrundet. Auf Oliver habe ich zwei Stunden Vorsprung, meine Crew hält mich so lang draußen, bis Oliver die Zeit aus geht und er den Rückstand mit seinen aktuellen Rundenzeiten nicht mehr aufholen kann. Zwei Stunden vor Rennende rolle ich ein letztes Mal über Start-Ziel direkt zu Burgerbude. Ich werde das Alfsee24 mit 3 Runden Vorsprung gewinnen, dazu reichen 360 Kilometer.

Ich lasse mich bei der anschließen Siegerehrung feiern. Der Wunsch mich auf dem Wanderpokal zu verewigen, bleibt leider unerfüllt, dies bleibt scheinbar nur den MTB-Fahrern vorbehalten.

Also wir Sonntagabends gegen 23 Uhr nach Hause kommen, kann ich aber voller Stolz den Pokal als Doppelsieger vereinen.

Danke an Pamela meine Powerfrau fürs Betreuen.

Danke an Marco für den großartigen Support & die Burger mit Pommes 😊

Danke an den offiziellen Arschretter.

An alle Mitstreiter- grandiose Leistung ihr seid Champions!

An alle Gestürzten: Gute Besserung.

Lukas & Roy: Absolute Topleistung !!!