The Traka-Europas größte und härteste Gravelparty
Es ist Mai, es ist der sechste Lauf der Gravel Earth Series und wäre es die Tour de France, würde man das Traka mit Sicherheit als Königsetappe des Gravelns bezeichnen. Das hat gleich mehrere Gründe: zum einen findet das Event in der Gravelhochburg Girona statt, zum anderen gibt es neben den Renndistanzen 100 & 200 Km, zusätzlich eine 360 Km, sowie eine 540 Kilometer Strecke. Neben den üblichen Verdächtigen, gehen hier also noch Ultra-Athleten und Bikepacker an den Start und somit wird alles vereint, was sich nur irgendwie Gravelfahrer schimpft. Zuletzt ist Canyon als Hauptsponsor bei dem Event eingestiegen und will hier die größte Gravelparty Europas abfeiern. Selbiges gelingt unglaublich gut. Es gibt unzählige Communityrides, Workshops, Interviews mit den Profis, Neueröffnungen von Bikeshops, und es findet jede Renndistanz, begleitet von Livestreams an einem anderen Renntag statt. Girona ertrinkt im Radsport, flüchten kann man nicht, selbst in den Cafés trifft man die Pro´s von Alpecin, Red Bull Bora oder Visma Lease a Bike…es gibt einfach kein Entrinnen.
Ich reise schon am Sonntag an, um das Spektakel zu genießen. Aber schon am Montag wird dem Ganzen im wahrsten Sinne des Wortes der Stecker gezogen. Portugal, Teile von Frankreich und Spanien sind ohne Strom, kein Handynetz, kein Internet. Keine Ampeln gehen mehr, überall Polizei Aufgebot. Die Türen der Einkaufsläden gehen weder auf noch zu, kein Licht, die Kühltheken werden abgedeckt, nur noch Barzahlung. Kein Restaurant kann dir, was zum Essen machen, du kommst nicht mal mit deinem Auto aus dem Parkhaus. Ein bisschen versinken wir im Chaos, eine Durchführung des Traka ist äußerst zweifelhaft.
Ich selbst tu, was wohl jeder in solch einer Situation tun würde, und gehe zum Friseur…den die Schere ist immer noch mechanisch.
Nachdem nun der Style wieder passt, kommt vier Stunden später auch wieder das Internet und der Strom zurück.
Die Welt ist in Ordnung und die kommenden 4 Tage bis zum Start des Traka 360 vertreiben wir uns mit Clubrides wie z.B. die des „Velodrom“ (Bikeshop), welcher hier eine Neueröffnung feiert und zu einem der geilsten Shops gehört, die ich je gesehen habe. Wir betreiben Carboloading im Horscategorie, eines der beliebtesten Radrestaurants in Girona. Falls ihr hier seid, also unbedingt ins Velodrom und ins Horscategorie.

Kommen wir nun zum Renntag:
Das Traka 360 ist schnell erklärt.
Um 6 Uhr starten die Gravel Pro´s und Pro Gravel Damen, um 6:10 dann die Open Men, zu denen ich gehöre.
Die Strecke ist 360Km lang, hat 3500Hm, drei Rivercrossings, eine Hike-a-bike-Passage, 2 Verpflegungsstationen und 2 Waterpoints. Es gibt jeweils 3 Bergpassagen, die mit 100Km Transferflachstücken verbunden sind.
Gestartet wird in Dunkelheit und für die meisten endet es auch erst nach Sonnenuntergang.
Wer im ersten Anstieg, gleich nach dem Start überpaced, geht im folgenden Transferstück ein.
Wer im ersten Anstieg, gleich nach dem Start seinen Rhythmus fährt und den Sprung in eine Gruppe verpasst, geht im folgenden Transferstück ein.
Wer im folgenden Transferstück zur zweiten Bergpassage pinkelt und aus der Gruppe fällt, geht ein.
Wer im folgenden Transferstück zur zweiten Bergpassage einen Defekt hat und aus der Gruppe fällt, geht ein.
Wer im folgenden Transferstück zur zweiten Bergpassage nicht genügend Trinken dabei hat, um 5h Renndauer zu überbrücken, geht ein.
Wer nicht genügend Gels und Riegel dabei hat, geht ein.
Wer nicht richtig navigieren kann (die Strecke ist nicht abgesperrt), geht ein.
Man kann hier also schnell, ziemlich oft, etwas falsch machen.

Ich find im ersten Berg meinen Rhythmus und schaffe auch den Sprung in eine Gruppe. 70 Kilometer läuft es bei mir nach Plan und dann läuft bei mir ziemlich schnell, ziemlich oft was falsch.

Ich halte gebührenden Sicherheitsabstand in der Gruppe, weil ich die Schlaglöcher sonst nicht sehe. Das sorgt aber dafür, dass ich null Windschatten habe, welchen ich aber beim Blick auf die Wattzahlen dringend benötige.
Kaum kleb ich nun windschlüpfrig am Hinterrad des Vordermanns, machts Peng und ich droppe voll in ein Schlagloch. Der Impact ist so hart, dass sich mein kompletter Lenker mit den Hoods nach unten dreht. In den Hoods zu greifen ist nun nicht mehr möglich, ich kann nur noch Unterlenker fahren, mein Garmin zeigt nun steil nach unten, navigieren nicht mehr möglich. Mein Ziel ist es bis zur 135KM Marke (dem ersten Verpflegungsstopp) durchzuhalten, um dort eine Reparatur zu vollziehen. Ich will aus den oben genannten Gründen die Gruppe nicht verlieren.
Wie einst Marco Pantani fahre ich im Unterlenker den anstehenden, schroffen Uphill hinauf – leck, muss das bescheuert aussehen. Ich kenne den Uphill vom Trainingslager an Weihnachten, er ist technisch, viele steigen ab. Ich komme gut hinauf und überhole alle Fahrer vor mir. Ich geh als Erster in die technische Abfahrt, was bescheuert ist, weil ich nun navigieren muss und mein Garmin nicht richtig lesen kann. Ich fühl mich kurz wie der aufstrebende Star am Radsport Himmel. Bergauf alle überholt, bergab der Schnellste. Die Mischung aus Pantani und Pidcock.
Während ich am Rande der Lichtgeschwindigkeit ins Tal rausche, weiß ich nun, warum mich Sanitätsmotorräder überholt haben. Im Downhill hats eine der PAS Normal Girls zerlegt (Gute Besserung an der Stelle).
Im Tal angekommen, erkenne ich schnell, ich bin nur ein alter dicker Mann, der langsam mal n ordentlichen Verpflegungsstopp benötigt.
Wir sammeln uns als Gruppe erneut und haben schon wieder 20 Kilometer abgespult, da gibt es einen Knall. Meine Garminklemmschelle hat sich gelöst. Mein Garmin mit meiner Frontlampe baumelt nur noch am Sicherungsgummi und haut wie eine Abrissbirne munter gegen mein Steuerrohr. Es ist eine Frage der Zeit, bis der Gummi reißt und wir Männer wissen, gerissene Gummis sind nie gut. Ich stoppe, verliere meine Gruppe, kram mein Multitool heraus und repariere die Lenkerstellung im Vorbau und montiere anschließend meine Garminhalterung, während weiter Gruppen an mir vorbeiziehen.

Immerhin habe ich nun wieder eine ergonomische Griffposition, ohne mir die Hände und den Rücken zu ruinieren. Ich bin zurück auf der Rennstrecke und werde kurz danach von einer Gruppe aufgefahren. Gemeinsam machen wir die kommenden 10 Kilometer Tempo und sind gleich dabei, die vordere Gruppe aufzufahren. Ich bin motiviert, mein Hinterreifen aber schlagartig nicht. Die weiße Milch, welche mir gerade meine Wade einsaut, ist die bittere Erkenntnis, dass ich nicht zur Gruppe aufschließen werde und ich auch diese ziehen lassen muss, um mein Hinterrad zu flicken.
Für mich steht nun ein kräftezehrendes Solo über 25 Kilometer an, bis ich endlich den Checkpoint 1 nach 135 Kilometer erreiche.
Ich machs kurz, ne Handvoll Gummibärchen in die Fresse, Trinkrucksack füllen, Flasche füllen und weiter geht’s. Ich opfere einen „ordentlichen“ Boxenstopp, um Plätze gutzumachen. Ich lasse hier sicher 30 Fahrer stehen, die sich alle „ordentlicher“ verpflegen und fahr solo in die anstehende Bergpassage.
Ich fahre bei der kommenden Kletterei zu einem Fahrer auf und komme mit ihm ins Gespräch: „What‘s your name?“
„Hi, I‘m Chris from Colorado“, Ex-Teamfahrer und Freund von Chad Haga, welcher für Sunweb gefahren und nun Gravelprofi ist.
„Hi, ich bin der Daniel, ein Lauch aus Germany, Freunde hab ich keine.“

Wir machen gemeinsam Kilometer. Chris fährt ein gefedertes Lauf Gravelbike mit Lauffork, trotzdem lasse ich es in der Abfahrt deutlich mehr laufen…welch grandioses Wortspiel.
Die besagte Abfahrt läutet aber nun das Ende meiner Traka360 Teilnahme ein. Der Graminhalter, welcher sich gelöst hatte, bricht nun 2-Fach. Die Abrissbirne is back. Im Uphill fehlt mir gerade die Luft für ein angebrachtes „Fuck off“ und für ne Entscheidung, wie es gerade weiter geht. Mir ist nur klar, vor der Abfahrt muss der Garmin und die Lampe da weg. Ich muss wieder stoppen, verliere den Anschluss zu Chris und verstau alles.
Noch immer schlummert der nächste Abfahrtsgott in mir – bergab überhole ich Fahrer und Fahrerrinnen, aber bei der nächsten Weggabelung offenbart sich das Drama, in welchem ich mich nun befinde: mein Garmin steckt im Trikot und ich kenne die Route nicht. Ich brauche also Fahrer vor mir, welche mich routen. Aktuell habe ich den ein oder andern in Sichtweite und somit finde ich glücklicherweise den Einstieg in die Hike-a-bike-Sektion, an welcher ich sonst vorbeigerauscht wäre. Ein furchtbarer Trampelpfad, den wir hier hinaufklettern. Immerhin hat man hier coole Mucke aufgelegt und einen Lautsprecher aufgestellt. Nachdem ich nun mehrere Minuten diesen Anstieg erklimme, entpuppt sich der Lautsprecher als Gitarrenspieler. Hier sitzt tatsächlich einer in der Botanik und motiviert uns. Als er in mein verzerrtes Gesicht blickt, fängt er plötzlich an „The Eye of theTiger“ zu spielen. Wie einst Rocky Balboa völlig vermöbelt nach seiner Adrianna schrie, so schreie ich nach einem neuen Garminhalter. Adrianna war da, der Garminhalter nicht.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Alle Fahrer vor mir halten am nächsten Waterpoint, ich wäre noch bestens verpflegt aber stoppe nun auch und warte bis die Fahrer wieder starten und ich mich dranhängen kann. Kurze Zeit später verliere ich die Hinterräder der Gruppe und rolle wieder allein und orientierungslos durch die Pampa. Das ist absoluter Blödsinn, so noch190 KM bewältigen zu wollen. Ich steige entnervt aus dem Rennen aus.
Irgendwie muss ich jetzt aber zur Ferienwohnung kommen und irgendwie will mir der Ort nicht einfallen, wo sich diese befindet. So nimmt das Navigationschaos weiter seinen Lauf. 2 Stunden und 40 Kilometer später treffe ich dann an meiner Bude ein.
Sonntag abends bin ich aus Girona zurück. Ich starte montags genervt in die Arbeitswoche. Das gewünschte Ziel nicht erreicht. So viel investiert und nix zurückbekommen. Ich bin unerfüllt und die Leere schafft viel Platz für Frustration.

Ich mach das, was wohl jeder an meiner Stelle getan hätte. Noch am selben Abend melde ich mich für kommenden Samstag beim 24h-Rennen Alfsee an. Somit geht’s quasi von Girona nach Osnabrück. Denn um bei Rocky Balboa zu bleiben: für `ne Revanche musst zunächst erst wieder in den Ring steigen.
Danke an Pamela und die Kids für die Woche Verzicht, damit der Papa solchen Blödsinn machen kann.
Danke an Michael Börner für den Support und Begleitung in dieser Woche.

Wer am kommenden Wochenende mitfiebern möchte, dem empfehle ich den Livestream zum Rennen von Leochannel.
Begleitet mich auf Instagram, meine Crew wird euch beim Rennen, in der Storry auf dem Laufenden halten.
Happy Ride
Euer Daniel