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Race & Tour

Belchenhochdrei

Das Warten hat ein Ende. Die Grenzen sind nun wieder geöffnet und wie angekündigt wurde es nach dem Everesting im Mai allmählich Zeit für die nächste Ultracycling Challenge.

Bei den Belchen³ geht es darum in drei Ländern einen bestimmten Berg, den sogenannte Belchen mit dem Rad zu erklimmen. Den Bölchen in der Schweiz, den Grand Ballon in Frankreich, sowie den deutschen Belchen. Drei Länder, drei Berge verbunden durch „one ride“.  Man nehme also die Distanz eines Rad-Klassikers wie Mailand – San Remo und packe die Höhenmeter einer Tour de France Alpen Etappe mit rein und man erhält eine Ultracycling Challenge, für die man sich gerne mal 13 Stunden schinden darf.

Die 3 Belchen des Tages

Es ist Samstag kurz vor 5 Uhr. Der Wecker klingelt ich habe gut gepennt und das Standard Programm nimmt sofort seinen Lauf. Einen schnellen Espresso, das Müsli runter gewürgt, den wohlgeformten Hintern mit Melkfett eingeschmiert und anschließend in hautenges Lycra gezwängt…nein, das wird kein Erotikroman ?

Gegen 5:45 schlägt Teammate Sascha bei mir auf und wir machen uns auf unsern 300 Kilometer langen Weg. Die Route führt uns in herrlicher Morgensonne direkt in die Schweiz. Mit dem kleinen Bölchen wollen wir ganz schnelle einer der 3 Belchen eintüten, was sich sehr früh als Fehleinschätzung herausstellt. Seit dem Grenzübertritt geht es ständig bergauf, mit der Sissacher Flue steht eine Steigung im Weg, bevor wir überhaupt den Bölchen in Angriff nehmen. Dieser empfängt uns zwar mit einer idyllischen Postkarten Landschaft aber auch mit 15% Steigung. Nach über 2 Stunden erklimmen wir mit 30 Minuten Verspätung den Bölchen. Oben wartet schön Schwiegervater Dieter mit dem Begleitfahrzeug. Die ersten 40 Kilometer waren zäher als gedacht und sorgen schon jetzt für ein mulmiges Gefühl bei noch 270Km to go.

Postkartenidylle in der Schweiz

Weiter geht´s aus der Schweiz heraus Richtung Frankreich. Koomot meint es zwar gut, nervt aber allmählich. Jedes Mal wenn wir gerade nen 40ger auflegen, führt uns die Route weg von der Autostraße durch ein verwinkeltes Neubaugebiet, über verschlungene Radwege mit teilweise 24% Steigung. So macht es gerade keinen Spaß und wir entscheiden uns voll „oldschool“ einfach auf der Hauptstraße den Straßenschildern zu folgen. Dies sorgt nun in der Schweiz für schnelle Kilometer, in Frankreich dann aber für den Supergau (dazu später mehr).

Getrieben von den 30 Minuten Rückstand haben wir nun endlich unsere Reisegeschwindigkeit erreicht, da macht´s „Pfff“ und eine Reifenpanne zwingt uns zum ersten Stopp. Los, endlich geht’s weiter, keine 10 Minuten später macht´s „klack“. Saschas Verpflegung hat genug für heute und stürzt sich aus seiner Trikotasche in den Suizid. Der nachfolgende Verkehr erfüllt dem Energie Gel den Wunsch eines schnellen Todes. Die Straße sieht aus, als hätte sich Rocco Siffredi persönlich ergossen. Die ersten drei Stunden waren doch schon recht erlebnisreich. Ein unterschätzter Berg, ein Reifendefekt, Routenwirrwarr und der Verlust der Verpflegung, steigern die Vorfreude auf weitere spannende Stunden im Sattel.

Irgendwann passieren wir in Weil am Rhein die Grenze nach Frankreich. Gut 100 Kilometer trennen den Schweizer Belchen vom Einstieg in den Grand Ballon. Es sind nicht die Berge, die diese Tour so schwer machen, sondern die Verbindungsstrecken dazwischen. Am Rhein entlang kann man hier richtig Strecke machen. Wenn der Wind richtig steht, fährt man easy über nen 30er Schnitt ohne viel Kraft zu investieren. Unsere Route führt aber weg vom Rhein, über kupiertes Gelände an die süd-östliche Flanke der Vogesen und der Wind drückt leider permanent von Vorne, statt uns wohlwollend zu schieben.

Es tut weh, nach 130 Kilometer haben wir den nächsten Verpflegungspunkt erreicht und spüren deutliche Verschleißerscheinungen. Die Oberschenkel brennen, ein Redbull, ne halbe Kartoffel mit Quark und ne Hand voll Gesäßcreme sollen die Lebensgeister wecken. Es liegen noch gut 30 Kilometer vor uns, ehe der 24 Kilometer lange Anstieg zum Grand Ballon beginnt.

Werbespot für Red Bull

Ausgefuchst wie ich bin, folgen wir nun den Schildern nach Cernay -Thann und nicht der Koomot Route. Dank dem letzten Boxenstopp habe ich mich etwas erholt, ich bin im Tunnel unaufhaltsam. So rollt unser Paintrain Richtung Vogesen, ehe wir durch ein Hupkonzert unseren Fokus verlieren. Aus dem Tunnel entrissen und im reallife angekommen finden wir uns wieder auf der französischen Autobahn. Ohne Zweifel der schnellste Weg nach Cernay-Thann,  nicht der sicherste und gegebenenfalls auch ein teurer, falls uns die Polizei erwischt. Ich spiele kurz mit dem Gedanken die 5 Kilometer durchzuziehen, wir entscheiden uns dann aber für folgende

Exit Strategie:

Das Survival Duo

Unter einer Autobahnbrücken passieren wir den Wassergraben, durch ein Dornenfeld von Brombeeren um uns auf einem Steinweg durchzuschlagen der den Namen „Weg“ nicht verdient hat. Wir kämpfen uns an alten Militärbunkern vorbei, über Steinfelder und Matschlöcher, durch überflutete Unterführungen zurück auf den Asphalt. Ich hab Bilder in meinem Kopf, die könnte nun einer weitere Folge vom Survival Duo auf DMAX füllen. Ich sah uns schon vor meinem geistigen Auge mit 4 Platten Reifen im Nirvana stehen, konfrontiert mit etlichen Zusatzkilometern zurück in die Zivilisation, aber dies ging gerade noch gut, naja zumindest fast. Bei der Weiterfahrt entschied ich mich kurz die Handfläche auf die Reifen zu drücken, um diese von dem Schmodder zu befreien. Was am Vorderrad vorbildlich gelang, endete am Hinterrad mit einem eingeklemmten Daumen zwischen Reifen und Rahmen. Die griffigen Gummimischung meiner Wolfpack-Reifen kombiniert mit dem Anpressdruck meines Carbonrahmens sorgt nun dafür, dass sich die Haut förmlich von meinem Daumen radiert hat und eine revolutionäre Hybridwunde halb Schnitt- halb Brandwunde kombiniert mit Gummipartikeln entstand.

Ja das war gut, manch Dummheit straft der liebe Gott sofort. Der Schmerz ist dein Freund, den er sagt dir das du noch lebst. Mit dem Gewichtsersparnis der Haut, muss ich förmlich den Grand Ballon hinauf fliegen. Immerhin erreichten wir 30 Minuten später unser Begleitfahrzeug und ein rettendes Sakrotantuch zur Desinfektion. In einer späteren Version dieser Geschichte werde ich einfach erzählen, die Wunde stamme von einem Alligatorkampf in der überfluteten Unterführung. Dann stehe ich nicht ganz so deppert da.

Also zurück ins Geschehen – Wir haben noch immer erst einen von drei Belchen erklommen, Kilometerleistung zeigt Halbzei und es wartet ein 24 Kilometer langer Anstieg auf uns und vom Verlust von Energiegels bis zu (fast)ganzen Gliedmaßen haben wir alles durchlebt. Was für ein Tag!

Wir meistern die ersten 10 Kilometer Anstieg zum Hartmannswillerkopf, Sascha und ich fahren getrennt unseren Rhythmus. Ich meine es beim nächsten Verpflegungstopp zu gut und habe auf den nächsten 10 Kilometern mit dem Magen und den recht warmen Bedingungen zu kämpfen. Auch mein Rennrad leidet, es knarzt und ächzt permanent. Auf dem Grand Ballon ist später ein Service fällig, wie sich rausstellte, hatten sich durch die Geländefahrt etliche Schrauben an Vorbau und Lenker gelöst was vor der folgenden Abfahrt korrigiert werden sollte.

Aufstieg zum Grand Ballon

Der Anstieg ist gespickt mit Markierungssteinen, die über Steigung und Länge des Anstiegs informieren. „Nur noch 4,5 Kilometer und 8% Steigung Sascha!“. Mit einem anerkennenden “halt doch mal die Fresse“ signalisiert mir Sascha das er diese Zusatzinformation aktuell nicht von mir  benötigt.

gleich geschafft

Nach dem Motto „Anlauf statt Gleitcreme“ wuchtet Sascha auf dem großen Kettenblatt dem Gipfel des Grand Ballon entgegen. Wir kennen uns lange, dies sind meist die letzten Zuckungen bevor er sich oder sein Rad in den Graben schmeißt. Auf der folgenden Abfahrt  lässt sich das unvermeidliche zwar etwas verschleiern, aber beim nächsten Stopp nach 199,9 Kilometern beginnt der Leidensweg von Sascha. Das ist früh, aber ich kenne niemanden der sich so schinden kann wie er. Wenn einer nach 200 Kilometer fertig ist und sich noch 100 weitere quälen muss, ist das hart. Zunächst kann er nicht mehr in die Führung und ich bin auf dem Weg nach Deutschland allein im Wind. Doch selbst im Windschatten fahre ich einen Gang zu dick für ihn, das rettende Gel bringt leider keine Power sondern Übelkeit. In Fessenheim tröpfel ich ihm beim nächsten Stopp das Iberogast persönlich in den Rachen und es gibt nur noch Wasser in der Trinkflasche. Zum Dank würde der “Wind“ für den Rest des Tages mir ganz allein gehören.

Bikeservice vor der Abfahrt

Es folgt die Überfahrt nach Deutschland. Über Staufen geht es ins Münstertal um den 10 Kilometer langen Aufstieg zum Wiedener Eck zu befahren, bevor wir nochmals die 4,5 Kilometer zum letzten Belchen bewältigen müssen. Im Münstertal hat es um die 30 Grad, ich bin langsam müde. Von nun an begleitet uns mein Schwager der zu uns stößt. Im folgenden Anstieg frischt der Wind auf, ein Wolkenfeld zieht durch und die Sonne verliert in den Abendstunden an Strahlkraft. Es wird kühl und mein Körper ist im Wohlfühlmodus. Die rund 15 Kilometer Anstieg wollen mir besser gelingen als die Höhenmeter zuvor. In der Abenddämmerung beginnt der Aufstieg zum Belchenhaus. Gleich ist´s vorbei, ich schalte nochmals zwei Gänge dicker und erreiche um 20.45 Uhr den letzten Belchen des Tages.

Der letzte Belchen des Tages

Schöner könnte die Stimmung nicht sein, aber es ist kühl. Schnell wieder runter, dick einpacken und Licht montieren. Es sind noch 36 Kilometer bis nach Hause, doch auch das defekte Pedal von Sascha wird uns heute nicht mehr hindern, die Blechenhochdrei zu meistern. Nach einer weiteren Stunde kommen wir glücklich nach 311Km und 4400Hm wieder am Startort an.

Was für eine ereignisreicher Tag, die Schweiz war deutlich zäher und langwieriger als gedacht, mein geliebtes Elsass weniger schön als gewohnt und der deutsche Belchen deutlich leichter als befürchtet. Viel ging gut, viel daneben, aber es bleibt eine tolles Erlebnis, welches lange in Erinnerung bleibt.

Danke auch an meine Familie und an Dieter „Schwigavaddi“ Voglgsang der uns am heutigen Tag am Leben hielt.

Happy ride

Euer

Daniel