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Race & Tour

Velofondo-Unbesiegbar durch Gleichgültigkeit!

Sich spontan zu einem 24h Rennen anzumelden, ich weiß nicht ob das eine gute Idee ist…

…aber kann man mal machen

Nach dem Soloritt von Schötz geht es in den verdienten Sommer- wie Familienurlaub. Trainingspläne ade heißt es nun. Ich geh nicht mehr trainieren, sondern radeln nicht nach Plan, sondern Lust bis es in den Campingurlaub geht. Ohne Rad werde ich zum Lebemann, schlemme und entspanne. Gut 4 Wochen sind vergangen, mein Zustand würde ich wie folgt beschreiben: psychisch bin ich total entspannt, ich habe meine Radtouren genossen, ohne Zwänge, ohne Trainingsziele, ich bin motiviert habe Bock auf Racing. Selten war ich in dieser Saison motivierter mich zu quälen. Physisch sieht das etwas anders aus: weder das absolvierte Trainingsprogramm, noch die Körperform, sowie das Gewicht entsprechen den Anweisungen von Andrea Potratz. Mein Zustand gleicht eher einem Igel der auf der A5 die Bekanntschaft mit dem Zwillingsreifen eines 40 Tonners gemacht hat. Dennoch entschließe ich mich am Montag noch schnell fürs Velofondo in Oschersleben anzumelden. Es soll kalt werden in der Nacht, somit könnte eine wärmende Wampe noch zum großen Trumpf werden denke ich mir. Zudem ist bei solchen Rennen der Kopf entscheidend, 70% sind Psyche, der Rest ist Kopfsache!

Frühstück im Zelt

Auch in der Woche vor dem Rennen bleibe ich mir treu. Ich verzichte gänzlich aufs Training und versuche meine erste Arbeitswoche entspannt anzugehen. Ich habe mir eh nix vorgenommen für dieses Rennen, weder eine Rundenzahl, eine Kilometerleistung noch eine Platzierung. Spaß haben und schauen wie weit man kommt. „Unbesiegbar durch Gleichgültigkeit“ lautet das Motto mit dem ich die gut 750 Kilometer Anreise nach Oschersleben starte. Ich werde im Zelt pennen und mich selbst verpflegen, somit ist meine Karre bis unter die Decke voll gestapelt. Mein neuer 50KW Deluxe Gasgrill passt leider nicht mehr rein und somit stirbt die Idee von „gegrillte Rinderhälften in Kurve 6“ noch bevor das Abenteuer begonnen hat.

Letztes Training auf der Rennstrecke

Freitag gegen 12 Uhr treffe auf dem Gelände der Motorsport Arena ein. Die Nacht zuvor habe ich bei Freund und Sponsor Tony Keller von Keller Customs genächtigt und bin entsprechend früh dran. Ich bin „erster“. Totenstille, außer Wärter und Veranstalter, der gerade seine Box einrichtet ist hier niemand und ich kann in Ruhe meinen Zeltplatz einrichten. Als ich meinen Lusttempel für die Nacht fertiggestellt habe schlägt ein weiteres Team auf dem Gelände ein. Wie sich heraus stellt, ist das Schließer Bike Team auch für den Aufbau der MTB Strecke verantwortlich. Nachdem ich mich vorgestellt habe, werde ich gleich herzlich zu einer Streckenerkundung eingeladen. So kann ich die zwei Dutzend Leute rund um das Team kennenlernen und Ralph bietet mir zudem an, meine Verpflegung in ihrer Box zu deponieren. Ich bin ohne jegliche Begleitung angereist und will mich komplett selbst betreuen. Somit ist also nix mit Eiergraulen wenn’s mir schlecht geht.

Ralph die gute Fee

Scheinbar ist aber mein physischer Anblick so erbärmlich, dass mir dann sogar Hela eine Fahrerfrau des Teams anbietet, mich während des Rennens zu betreuen. So mutiere ich quasi zum Adoptivfahrer des Schließer Bike Teams. Ich bin heute noch überwältigt von der Gastfreundschaft. Alle Fahrer der beiden 4rer Teams, Fahrerfrauen sowie die Teamchefs haben sich um mich gekümmert und mich angefeuert. Das Bike gewartet, Akkus geladen, Essen besorgt. Ihr seid richtig geile Säue, das muss hier lobend erwähnt werden. Auf 12 Menschen kommen bei mir tendenziell 11,5 Arschkrampen, aber ihr wart wirklich eindrucksvoll.

Pflgemutter Hela

So fällt also am Samstag um 12 Uhr der Startschuss zum Velofondo. Auf der Rennstrecke hier ist es generell schwer einen attraktiven MTB Kurs zu stecken. Es  ist wie mit manchen Frauen, man muss sie sich einfach schön saufen. MTB-technisch gibt´s einfach nicht viele Möglichkeiten, wenn man aber bedenkt, dass die Jungs auf den Dackelschneidern hier 24 Stunden im Kreis fahren ohne einmal an der Bremse zu zucken, ist die MTB Strecke plötzlich deutlich attraktiver. Zwar nicht die Frau fürs Leben aber für einen One Night Stand (man beachte die Zweideutigkeit) durchaus brauchbar. Neben mir finden jedoch genügend andere MTB Fahrer die Motivation hier zu starten. Mit dem Vorjahres Ersten und Zweiten gleich zwei Wiederholungstäter, sowie weitere Fahrer vom DIMB und Pirate Team. Irgendwie schaffte ich es dann, mich zu Rennbeginn unter den ersten 3 Fahrern zu platzieren. Hier wechseln wir munter die Platzierung. Entscheidend ist hierfür, wer eine schnelle Rennradgruppe auf dem letzten Streckenabschnitt erwischt und somit nicht allein und mit viel Speed über Start-Ziel kommt. Nach einigen Runden bin ich dann im DIMB Sandwich eingeklemmt. Vorne weg fährt Steffen, ein „Masters 2“ Fahrer und hinter mir der Christopher, der Vorjahres Sieger. Das dieser immer wenige Meter hinter mir fährt macht mich völlig wuschig. So gönne ich mir eine Pinkelpause in der ich auf Platz 3 und außerhalb der Sichtweite rutsche, von nun an fahre ich stur meinen Rhythmus. Nach 4 Stunden hat mich Steffen schon das erste Mal überrundet, Christopher ist schon nahe dran selbiges zu tun und ich selbst überrunde den Vorjahres Zweiten Dennis. Ich habe keine gute Phase und einen zu hohen Puls und Dennis kann wohl noch zulegen.

Im Rennmodus

Wir schaffen es tatsächlich uns zusammen zu spannen. Wir kommen ins Gespräch, wechseln die Führungsarbeit und durchbrechen so die langweilige Stimmung, sowie den einstündigen Regen der einsetzt. So schön diese abgelegen Motorsport Rennstrecke ist, hier ist einfach kein Mensch. Es fehlt ein Rahmenprogramm, welches Zuschauer und Angehörige anlockt. Das Leben spielt sich allenfalls in den Parzellen der Boxengasse ab, fühlt man sich als Solist oft einsam, ist es hier noch vieeeel einsahamiger oder wie auch immer die Steigerungsform davon heißen soll. Ich hab ne gute Zeit mit Dennis ehe er um 19:30 Uhr in die Boxengasse abbiegt um sich zu verpflegen und nachtfertig zu machen. Ich selbst möchte meinen ersten Stint so lange wie möglich fahren und komme erst ein Runde später rein. Die Sonne glüht rot, während sie über dem Boxengebäude untergeht und sorgt für einen „schönen“ Moment, als ich in die Boxengasse abbiege. Mit fast 8 Stunden Fahrzeit beende ich meinen ersten Stint. 15 Minuten schenke ich mir, um mich nachtfertig zu bekommen, mich zu verpflegen und das Bike zu warten. Nach 14 Minuten bin ich zurück, die Ultracycling Playlist auf Spotify im Ohr und es ist schon dunkel (um kurz nach 8!). 2 Runden Rückstand auf Steffen und eine auf Christopher zeigen die Ergebnisse. Tendenziell hab ich einen guten Moment wenn’s dunkel wird und auch hier fühle ich mich erstmalig gut auf dem Rad. Wenige Runden später klingelt das Handy, ich hatte mit Pam vereinbart mich im Rennen anzurufen und mir die Ergebnisse mitzuteilen. Ich hatte ja sonst keine Möglichkeit und Pam sorgte für willkommene Unterhaltung. Die anderen Fahrer dachten wohl ich führe Selbstgespräche…was jetzt auch nicht selten vorkommt. Die kommenden 3 Stunden sollten die Besten des Rennens werden. Erstmalig fühle ich mich wieder besser und was mir Pam bei einem weiteren Anruf erzählt ist äußerst motivierend. Platz 1 und 2 machen längere Boxenstopps und ich habe die Möglichkeit erstmalig wieder aufzuholen. Mit einem Zwischensprint schaffe ich nicht nur aufzuholen, ich Runde mich auch komplett zurück und ziehe zumindest kurzzeitig auf Platz 1 vor. Nach 9 gefahrenen Stunden ist also alles wieder auf „Null“. Platz 1-3 innerhalb einer Runde! Zwischenzeitlich habe ich Dennis erneut getroffen, er hat gerade sein Tief, welches bei mir auch noch folgen wird.

a bissel Berg gab´s auch 🙂

Meins setzt bekanntlich gegen Mitternacht ein, von einer Runde auf die andere hab ich plötzlich 50 Watt weniger auf dem Pedal. Egal ob ich mir nun Gel, Red Bull oder den Urin von Lance Armstrong einverleibe, der Körper reagiert auf nichts mehr. Diese Phase ist mir bekannt und dauert in der Regel bis 9 Uhr morgens, also heißt es 9 Stunden auszuharren bis der Motor wieder läuft.

Zur Überraschung haben die Streckenbauer nun Kerzen entlang eines Schotterwegs aufgestellt. Ich fahre durch ein Lichtermeer und es wirkt wie eine Landebahn. In der Ferne klinken sich ein dutzend blinkende Windräder in das Lichterspiel ein. Als geborener Romantiker bin ich von dieser sentimentalen Stimmung so überwältigt, dass ich Emotionen und Kräften nun völlig freien Lauf lasse und wieder eine Bestzeit nach der anderen fahre.

Ähm Bullshit natürlich, es ist scheiße kalt und ich leide wie die Hölle und die Drecksnächte in Sachsen-Anhalt dauern fast 10 Stunden. Dennis ist mittlerweile eingepackt mit langer Kleidung und Buff. Ich will die Zeit für warme Kleidung nicht opfern und ziehe weiter mein Runden. Die gerichteten Iso Flaschen sind kalt, sodass ich mich kaum verpflege. Erst eine weitere Nachricht meiner Liebsten bewegt mich zu einem nächsten Boxenstopp. Der Vorjahres-Sieger pausiert und wird wohl nicht weiter machen. Mein früherer Mitstreiter Dennis ist auf Platz 3 vorgerückt, was mich riesig freut. Ich habe 3 Runden Vorsprung auf ihn und wieder zwei Rückstand auf Platz 1. Also investiere ich einige Minuten um mich wärmer anzuziehen. Während ich nun also weiter meinen kraftlosen Kadaver durch die Nacht schleppe, gibt´s noch einige Parallel-Geschichten, die ich euch erzählen werde:

Da ist ein Rennradfahrer, ich treffe ihn nun zum zweiten Mal. Markant ist sein Fußstellung. Er trägt Turnschuhe, ist Solostarter und hat ein passables Rennrad mit Klickpedalen.

Ich spreche ihn an: „Oh du Armer, hast wohl die Radschuhe vergessen?“

Er: „Nee, ich habe das Rennrad so gekauft und einfach noch keine Zeit gehabt Radschuhe zu kaufen.“

Ich: „Hättest ja dann aber noch normale Pedale montieren können.“

Er: „Nee, wollte das Rad so lassen.“

„Krass, noch einer mit dem Motto ‚Unbesiegbar durch Gleichgültigkeit‘“ denke ich mir und so zieht er weiter 24h lang seine Runden.

bald wird´s dunkel

Eine zweite Geschichte ist die von Janina. Sie ist die einzige MTB-Starterin im Feld. Sie schleppt sich um den Kurs, schafft die steile Rampe nicht mehr hoch und traut sich auch nicht in die steile Abfahrt. Sie gönnt sich Pausen, steigt aber immer wieder unermüdlich aufs Rad. Sie hätte auch nur eine Runde fahren können und hätte gewonnen. Ich wäre vermutlich 4 Stunden gefahren, hätte mir dann Jacky Cola im Arena Dinner gegönnt und dann am nächsten Tag jubelnd vom Podest gekotzt.

Aber Janina weiß um was es beim Ultra fahren geht: es geht nicht um Platzierung, Kilometer oder Rundenzeiten. Es geht darum seine eigenen Grenzen zu finden und diese zu überwinden. Hierfür zolle ich ihr bei jeder Überrundung Respekt und versuche sie zu motivieren.

Irgendwann ist dann auch mal die längste Nacht zu Ende und irgendwann ist auch wieder 9 Uhr morgens. Nun brauche ich keine Rücksicht auf den Magen zu nehmen und mit einem Cocktail aus Coffein-Tablette, Red Bull und zwei Gels starte ich den letzten Großangriff auf Platz 1. Meine Rundenzeiten sind 4-6 Minuten schneller und ich überhole tatsächlich Steffen. Er schafft es jedoch ganze zwei Runden in Sichtweite zu bleiben, ehe mich Pamela anruft. Was machst du denn fragt sie mich. Du bist die ganze Nacht 18er Runden gefahren und jetzt fährst du ne 12er und fast ne neue Bestzeit. Verballer dich nicht, es sind noch 3 Stunden. Wie immer hat sie natürlich recht, der zweite Platz und der Sieg in der Altersklasse sind sicher und die 2 Runden Rückstand auf Steffen hole ich sowieso nicht auf. Ich warte auf Steffen und sage ihm, dass wir das so nach Hause fahren und gratuliere ihm zum Sieg. Um halb 12 versammeln sich alle Solofahrer auf der Kuppe. Sie fragen mich, ob ich mit ihnen warten wolle, um geschlossen ins Ziel zu fahren und so endet ein einsames Rennen wie es begonnen hat, gemeinsam auf Start und Ziel.

Siegeerehrung

Die Erfahrung auf einer Rennstrecke mit Boxengasse zu fahren wollte ich immer sammeln. Das Velofondo war sicher nicht mein bestes Solo dieses Jahr, aber eines der besten Erlebnisse.

Es war geil mit Hela, Ralph und der kompletten Schließer Bike Truppe, danke an meine Mitstreiter Thomas und Dennis. Schön war es mit meinen „Wolfpack-Gefährten“ Markus Honka & Stefanie Hess. Danke an die Gastfreundschaft von Familie Keller.

Pamela mein Schatz, wie immer hast du mir den Rücken frei gehalten, mich motiviert und dich um unsere Kinder gekümmert. Deine Leistung steht der meinigen in nicht´s nach, du bist der Champ!

Happy ride

Euer

Daniel